Bionik

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Bionik - Systematisches Lernen von der Natur

von Dr. Markus Milwich ITV Denkendorf


Der Begriff Bionik wurde erstmals im Jahre 1960 verwendet und setzt sich aus den Worten Biologie und Technik zusammen. Im Gegensatz zur Biotechnologie, welche die Stoffwechselleistung von Mikroorganismen industriell nutzt, befasst sich die Bionik oder Biomimetik mit der Erforschung und der systematischen Übertragung von Konstruktionsprinzipien und Problemlösungen der Natur in technische Anwendungen. Als Fundgrube biomimetischer Innovationen haben sich neben Tieren auch zunehmend Pflanzen erwiesen, deren Vielfalt in einem 3,8 Milliarden Jahre andauernden Evolutionsprozess entstanden ist.

Die Bionik als Wissenschaft begann mit Leonardo da Vincis (1452-1519) Beobachtungen zum Vogelflug und seinen ersten Flugapparaten, auch wenn die Umsetzung seiner Ideen an den eingeschränkten technischen Mitteln seiner Zeit scheiterte. Erst 3 Jahrhunderte später, ca. 1810, gelang Albrecht Ludwig Berblinger („Der Schneider von Ulm“) mit vom Eulen- und Storchenflug inspirierten gewölbten Tragflächen erste Gleitflüge. Jean-Marie Les Bris flog 1856 mit einer nach dem Vorbild der Albatrosse konstruierten Flugmaschine, 1890 folgte Clément Ader mit der vom Fledermausflug inspirierten Flugmaschine „Eole“, Otto Lilienthal führte 1891 die ersten Gleitflüge durch. Schon im Jahre 1762 fand die erfolgreiche Jungfernfahrt eines Unterwasserfahrzeugs aus Holz statt („Steinhuder Hecht“), welches die Form eines Hechts nachahmte. 1829 wurde der Fallschirm nach dem Vorbild des Wiesenbockbarts erfunden.

Einige spektakuläre bionische Entwicklungen in neuerer Zeit haben ein breites Interesse an der Bionik geweckt, beispielsweise der schmutzabweisende Lotuseffekt, der sehr gute cw-Wert des Mercedes Benz Bionic Car nach dem Vorbild der Kofferfische oder die Entdeckung des reibungsmindernden Effekts der speziellen Hautschuppung von schnell schwimmenden Haien, welcher von Speedo auf Wettkampfschwimmanzüge übertragen wurde.

Mit dem Wissen, dass zukünftige technische Innovationen hauptsächlich in den Überschneidungsbereichen zwischen den Natur- und Ingenieurswissenschaften entstehen werden, besteht die Erwartung, dass durch eine engere Zusammenarbeit von Mechanik, Chemie und Biologie wesentliche technische Entwicklungen stattfinden werden. Zusätzlich wird erwartet, das die Bionik auch ökologisch vorteilhafte Lösungen bietet, was jedoch nicht zwangsläufig der Fall sein wird.

Natürliche Vorbilder können selten 1:1 in die Technik übernommen werden. Nur bei wenigen Ausnahmen wie dem Klettverschluss oder den ersten Flugapparaten war diese direkte Übertragung möglich. Vielmehr greift moderne Bionik die Problemlösungen der Natur auf, versucht die zugrundeliegenden biologischen Prinzipien zu entschlüsseln und daraus eine differenzierte technische Umsetzung zu generieren. Gerade die in den letzten Jahren entwickelten neuartigen Methoden zur Charakterisierung der Materialien, des Aufbaus und der Funktionsweise biologischer Ge- webe haben einen erstaunlichen Erkenntnisgewinn über das bionische Potential natürlicher Werkstoffe erbracht. Hochauflösende Mikroskopie, Mikrotomographie oder Mikrospektroskopie ermöglichen die Untersuchung der mechanischen, chemischen und physikalischen Eigenschaften und die Klärung des Zusammenhangs von Funktion, Struktur und biochemischem Aufbau.


Grundlegende Merkmale biologischer Systeme

Bionik ist eine klar formulierbare Disziplin und Vorgehensweise. Sie führt die in der Biologie entdeckten und erforschten Aspekte der Natur wie natürliche Konstruktionen („Konstruktionsbionik“), Vorgehensweisen oder Verfahren („Verfahrensbionik“) und deren Informationsübertragungs, Entwicklungs- und Evolutionsprinzipien („Informationsbionik“) einer technischen Umsetzung zu. Die in den verschiedenen Bereichen der Bionik untersuchten und bewerteten biologischen Systeme sind zwar höchst vielfältig, dennoch können wesentliche gemeinsame prinzipielle Merkmale benannt werden, welche ohne Einschränkung als allgemeingültige Ziele und Vorbilder für zukünftige technische Entwicklungen Gültigkeit besitzen:

Adaptivität

Die Anpassungsfähigkeit an variable Umweltbedingungen sichert das Überleben und die optimale Funktion des biologischen Systems auch bei veränderten Umgebungsbedingungen.

Selbstheilung

Biologische Systeme besitzen eine hohe Schadenstoleranz, aufgetretene Schäden werden schnell, effizient und dauerhaft repariert.

Nachhaltigkeit

Die Lebensdauer biologischer Systeme ist begrenzt, nach dem Absterben werden die Materialien vollständig abgebaut und in den biologischen Stoffkreislauf zurückgeführt.

Material- und Energieeffizienz

Der Aufbau, der „Betrieb“, und die Funktionserfüllung der biologischen Systeme erfolgt mit geringstmöglichem Verbrauch an Rohstoffen und Energie. Beispiele sind das passive Kühlsystem der Termitenbauten, die effiziente aktive Kühlung und Heizung des Bienenstocks durch Bienenflügelschlag, Energiespeicherung und -rückführung in der Fortbewegung des Känguru und die Reibungsminimierung durch den speziellen Aufbau der Hai- und Delphinhaut.

Selbstorganisation

Biologische Produktentwicklung ist eine genetisch kontrollierte Selbstorganisation, die den Aufbau kleinster Molekülbausteine bis zum Lebewesen regelt. Die Selbstorganisation und Schwarmintelligenz von Vogel- und Fischschwärmen, Bienen- und Ameisenvölkern oder Piranhas geschieht mittels einfachster Algorithmen und wird vor allem durch Duftbotenstoffe organisiert. Bioniker wollen daraus Erkenntnisse ziehen, wie Verkehrs- oder Materialflüsse optimiert gesteuert werden können.

Leichtbau

Vermeidung von Spannungskonzentrationen durch Anpassung der Faserrichtungen und Einsatz effizienter, angepasster Werkstoffe.

Multifunktionalität

Mehrere Funktionen sind in einer Struktur zusammengefasst. Ein Baumstamm vereint mechanische Stabilität (Eigengewicht, Wind- und Schneelast) mit Wasserleitung und Wasserspeicherfunktionen

Hierarchischer und Gradientenaufbau

Pflanzenhalme sind auf 5 Ebenen von der Molekülkette über Einzelfasern, Faserbündel zum Halm hierarchisch aufgebaut und sind gekennzeichnet durch graduelle Steifigkeitsübergänge zwischen Fasern und Gewebematrix. Ein Beispiel für einen Gradientenaufbau im Tierreich sind Kalmare. Diese sind zwar Weichtiere, besitzen aber einen harten gekrümmten Schnabel. Der graduelle, allmähliche Übergang vom sehr weichem Körpergewebe zum harten Schnabel ergibt sich beim Kalmar durch eine höchst variable Steifigkeit von unterschiedlich modifizierten Chitinen. Bionische Anwendungen dieses Prinzips wären die Verbesserung von Faser-Matrix-Übergängen in Faserverbundwerkstoffen, oder die Entwicklung von Orthesen mit graduellem Steifigkeitsübergang vom Beinstumpf zur Orthese.
Die zentralen bionischen Themen Konstruktionsbionik, Verfahrensbionik und Informationsbionik können in weitere bionische Forschungsfelder untergliedert werden, welche im folgenden vorgestellt und mit einigen Beispielen näher erläutert werden. Natürlich gibt es häufige Überschneidungen und fließende Übergänge zwischen den Forschungsfeldern und den zu untersuchenden Themen, da diesen zumeist die gleichen bionischen Merkmale zugrunde liegen.


Potenziale der Bionik

Struktur- und Konstruktionsbionik

Die Struktur- und Konstruktionsbionik beschäftigt sich mit hochintegrierten, multifunktionellen technischen Konstruktionen, welche durch spezielle Materialien, Strukturen, Oberflächen und Formgestaltungsmechanismen sowie einen material- und energiesparenden Leichtbau gekennzeichnet sind. Ein interessantes Beispiel aus diesem Bereich sind die Kieselalgen. Sie besitzen sehr leichte und trotzdem stabile schützende Panzer (wenige μm bis 2 mm) aus Siliziumdioxid-Glas, welche wie reliefverzierte Glaskugeln oder Speichen-Räder aussehen. Gemeinsames Merkmal sind die auf verschiedenen Skalierungen bzw. Unterebenen regelmäßig angeordneten Poren und strukturversteifenden Rippen. Siliziumdioxid-Glas ist an sich schwerer wie Wasser, durch die Rippen/Poren-Leichtbaustruktur schwimmt die Kieselalge aber dennoch im Oberflächenwasser und maximiert so die Energieausbeute ihrer Photosynthese. Die Fressfeinde der Kieselalge, die ca. 1 mm großen Flusskrebse, haben im Laufe der Evolution ihre Fresswerkzeuge an die Beute angepasst, indem diese mit hartem Siliziumdioxid überzogen sind, um den Kieselalgenpanzer zu knacken. Nach dem Vorbild des strukturellen Aufbaus der Kieselalge ist eine bionische ultraleichte Autofelge entwickelt worden.

Baubionik

Die „organischen“ Formen und Strukturen der Natur inspirierten schon seit Jahrhunderten Architekten bei der Gestaltung von Bauwerken. Ein aufsehenerregendes Beispiel dafür war das Eingangstor der Pariser Weltausstellung im Jahre 1900, welches einem Kieselalgenpanzer nachempfunden war. Heutige Architektur versucht jedoch, die den natürlichen Strukturen zugrundeliegende Funktionalitäten zu verstehen und zu nutzen, vor allem bezüglich ökologischem, nachhaltigem, energiesparendem Bauen und materialeffizientem Leichtbau. Während im Leichtbau natürliche Funktionen wie vorgespannte, durch Turgor-Innendruck stabilisierte Strukturen (Bananenblatt) bereits schon zur Anwendung kommen, stehen die natürlichen Prinzipien der passiven energieeffizienten Belüftung und Klimatisierung (Termitenbauten, Erdmännchenbauten, Eisbärfell) noch am Anfang einer breiten Umsetzung.

Bewegungsbionik

Die Bewegungsbionik beschäftigt sich mit energieeffizienter, reibungsarmer Fortbewegung, beispielsweise der Strömungswirbelminderung der Haifischhaut oder dem speziellen adaptiven Aufbau der Delphinhaut, bei welcher ein flüssigkeitsgefülltes, schwammartiges Gewebe direkt unter der Haut auftretende Strömungswirbel auslöscht. Der Bug moderner Schiffe bildet die Kopfform eines Orcas nach und erzeugt erheblich günstigere, energiesparende Strömungsverhältnisse um den Schiffsrumpf. BMW hat 2008 mit der Zukunftsstudie Gina Light ein Automobil vorgestellt, welches eine adaptive textile Außenhaut besitzt. Zukünftig sollen adaptive Formanpassungen der Außenhaut von Flugzeugen, Autos und Schiffen die Reibung zum umgebenden Medium verringern.

Anthrobionik

Themen in der Anthrobionik sind die Entwicklung von leistungsfähigen Mensch-Maschine-Interaktionen, dezentralen Steuerungen und optimierten neuronalen Netzwerken sowie „mechanische“ Themen wie Ergonomie, Robotertechnik und künstliche Muskeln. Erforscht werden (elektro-) aktive Polymere für künstliche Augenmuskeln, für Schutzsysteme im Sport und Beruf, beispielsweise als adaptive bequeme kugelsichere Westen. Ein interessantes biologisches Vorbild ist die Seegurke, deren normalerweise elastische Haut sich bei Gefahr sehr schnell durch chemische Versteifung von Gewebefasern in einen steifen Panzer verwandelt.

Sensorbionik

Sensorbionik erforscht die fantastischen Möglichkeiten natürlicher Sensor-systeme zur Entwicklung von hochauflösender, einfach aufgebauter, zuverlässiger Sensorik. Ziel ist beispielsweise die Verbesserung von Nachtsichtgeräten oder von Thermokameras durch die Erforschung der Ortungssysteme von Fledermäusen (Ultraschall), der Elektrofische (elektrische Felder) und von Schlangen bzw. Kieferprachtkäfern (hochpräziser, breitbandiger Wärmeblick). Weitere bionische Themen sind künstliche Nasen, welche Lungenkrebs „erschnüffeln“ können. Ein Vorbild ist hier der Seidenspinner, welcher minimalste Duftänderungen erkennen kann. Eine erfolgreiche bionische Entwicklung ist seit kurzem im Tsunami-Frühwarnsystem im Einsatz. Die Informationen der Meeresbodensensoren werden durch modulierten Ultraschall nach dem Vorbild der Delphine störungsfrei an die Wasseroberfläche übermittelt. Weitere bionische Themen sind taktile Sensoren nach dem Vorbild von Schnurrhaaren, oder die Entwicklung von technischen Facettenaugen, die ein wesentlich vergrößertes Blickfeld und zehnfach höheres Auflösungsvermögen besitzen.

Verfahrensbionik

Verfahrensbionik befasst sich mit dem Lernen von komplexen biologischen Prozessen bezüglich Ökologie und Abfallvermeidung, der Energiegewinnung mittels Photosynthese sowie der Speicherung von Energie, beispielsweise durch das Abfangen und Speichern des Wasserstoffs aus der Photosynthese.

Evolutionsbionik

Evolutionsbionik nutzt den Erkenntnisgewinn aus biologischen evolutionären Prozessen zur Simulation and Optimierung von komplexen technischen Systemen.

 

Faserverbundwerkstoffe und Bionik

Ein Grundprinzip lasttragender lebender Materie ist der Aufbau der Materialien als Faserverbundwerkstoff, d.h. lasttragende Fasern sind in eine formgebende, lasteinleitende Grundgewebematrix eingelagert. Fasern und Matrix sind aus nur wenigen biologischen Werkstoffen aufgebaut: Proteine, Polysacharide, Hydroxylapatit-Keramik (Knochen) sowie Silikat-Keramik (Pflanzen). Diese Grundwerkstoffe bilden lediglich 4 Arten von natürlichen Fasern aus: Cellulose in Pflanzen, Collagen in Tieren, Chitin in Insekten und Krustentieren sowie Spinnenseide. Die natürlichen Fasern haben eine sehr hohe Fähigkeit zur Lastaufnahme bei gleichzeitig geringerer Dichte als Glas-, Kohlenstoff oder Aramidfasern. Durch oft nur geringe Änderungen des chemischen Aufbaus der Fasern und Gewebe ergeben sich sehr unterschiedliche mechanische Eigenschaften. Beispielsweise bilden nahezu identische Kollagenfasern hochsteife Knochenstrukturen, feste und flexible Kreuzbänder oder hochelastische Blutgefässe aus.

Das hohe Leistungsvermögen natürlicher Faserverbunde resultiert nicht nur aus der gewichtsbezogenen Zugfestigkeit und Steifigkeit, sondern in hohem Maße auch aus einer geschickten, anisotropen Anordnung gebündelter Faserstränge auf mehreren hierarchischen Ebenen. Diese Anisotropie erzeugt richtungsabhängige Materialeigenschaften: Festigkeit und Steifigkeit der Gewebe sind somit an die Größe und Richtung der äußeren, auf sie einwirkenden, Kräfte angepasst. Eine besondere Eigenschaft zeichnet Knochen aus. Ähnlich wie bei Bäumen werden hochbeanspruchte Zonen mit (Knochen-) Material verstärkt. Zusätzlich wird in unterbeanspruchten Zonen Knochensubstanz abgebaut und damit Gewicht reduziert.

Ähnlich wie die Natur Holz und Knochen aufbaut, werden auch technische Faserverbundwerkstoffe konstruiert. Hauptziel bei der Herstellung eines Bauteils ist es, die Fasern bestmöglich entlang den Kraftflusslinien anzuordnen und so hohe Festigkeit und Steifigkeit mit geringstem Gewicht zu vereinen. Zu Beginn des Einsatzes der Faserverbundwerkstoffe (1953 Corvette-Karosserieteile, 1954 Segelflugzeug Uni Stuttgart, 1957 Monsanto Haus, 1968 Benghazi Dome, 1972 Dachstruktur Dubai Flughafen) wurden die Fasern vor allem in Gewebeform von Hand zu Bauteilen verarbeitet, wobei entsprechende Kompromisse bezüglich einer optimalen Ausrichtung der Fasern gemacht werden mussten. Heutzutage stehen jedoch verschiedene textile Techniken und robotergestützte Legetechniken als industrielle, kosten-sparende Alternativen zur Verfügung, mit welchen Fasern wesentlich genauer analog dem Verlauf der Kraftflusslinien ausgerichtet werden können.
Nach dem Vorbild des Wachstums von Holz und Knochen hat Prof. Claus Mattheck vom Forschungszentrum Karlsruhe das SKO-Rechenprogramm entwickelt, welches an wenig beanspruchten Bereichen der Konstruktion Material entfernt und an besonders beanspruchten Bereichen hinzugefügt, so dass Bauteile mit geringstem Gewicht entstehen. Die damit berechnete Karosserie des Bionic Car ist um 30 % leichter als herkömmliche Karosserien. Der filigrane, komplexe Aufbau wäre nur sehr aufwendig mit geschweißten Metallprofilen darstellbar. Wesentlich geeigneter ist die Herstellung mittels Faserverbundwerkstoffen, weil die Fasern relativ einfach entlang den Kraft-flusslinien und Verzweigungen angeordnet werden können und zusätzlich Gewicht eingespart werden kann.

Eine bekannte bionische Entwicklung sind die Winglets an der Spitze von Flugzeugflügeln, welche nach dem Vorbild der Aufspreizung der Flügelenden von großen Vögeln entwickelt wurden. Die zumeist aus Faserverbundwerkstoffen hergestellten Winglets reduzieren die Ausdehnung der Wirbelschleppe an den Flügelenden. Dies spart Kerosin und die Flugzeuge können in geringerem Abstand starten und landen. Eine weitergehende Wirbelreduzierung erreichen die Schlaufenpropeller der Fa. Evologics, bei denen die verlängerten Winglets der Propellerblätter ineinander übergehen. Ebenfalls wirbelreduzierend und energiesparend sind die bionischen Flügel des Owlet-Ventilators von Ziehl-Abegg, welche ähnlich den Vögelflügeln eine unregelmäßige, ausgefranste Flügelhinterkante aufweisen. Zukünftige bionische Entwicklungen wird es bezüglich der adaptiven aktiven oder passiven Formanpassung der Flügel für verschiede Flugbedingungen geben, unter anderem durch die Umsetzung des bionischen Finray-Effekts. Die Nutzung des Finray-Effekts als Flossenantrieb wurde anschaulich durch verschiedene fliegende oder schwimmende Objekte der Fa. Festo aufgezeigt.

Weitere biologische Vorbilder im Bereich der Faserverbundwerkstoffe sind Pflanzenhalme. Diese pflanzlichen Faserverbundgewebe werden mit geringstem Material- und Energieaufwand aufgebaut, erzielen aber erstaunliche mechanische Leistungen. Beispielsweise ist der Winterschachtelhalm aus äußerem und innerem Druckzylinder und verbindenden, abstandshaltenden Stegen aufgebaut. Dieser Sandwich-Aufbau mit hoher spezifischer Biegesteifigkeit und Knickstabilität verhindert Beulen und Knicken der dünnen Halmstruktur (Abb. 1).

Ein weiteres interessantes Vorbild ist das Pfahlrohr, welches durch den Wind angeregte Schwingungen über einen graduellen Steifigkeitsübergang zwischen Fasern und Grundgewebe-Matrix hervorragend dämpft. Ausserdem weist das Pfahlrohr ein gutmütiges, zähes Bruchverhalten auf, welches in starkem Gegensatz zu dem spröden Bruchverhalten technischer Faserverbundwerkstoffe steht. In einer engen Zusammenarbeit von Freiburger Biologen und Ingenieuren des ITV Denkendorf im Baden-Württemberg Kompetenznetz „Biomimetik“ wurden die pflanzlichen Vorbilder „ultraleichter Sandwichaufbau des Winterschachtelhalms“ und „Schwingungsdämpfung des Pfahlrohrs“ kombiniert und daraus der „technische Pflanzenhalm“ entwickelt (Abb. 2). Dieser kann mittels der am ITV Denkendorf aufgebauten Flechtpultrusions-Technik großserientauglich hergestellt werden, der Steifigkeitsgradient zwischen Fasern und Matrix wird mittels auf die Fasern aufgebrachte Nano-Partikel erreicht. Die Einsatzbereiche des technischen Pflanzenhalms sind überall dort zu sehen, wo druck- und biegebelastete Faserverbundprofile eingesetzt werden, von der Luft- und Raumfahrttechnik, Fahrzeugbau, Sportgeräte bis zum Bauwesen. Zusätzlich können die Nebenkanäle des technischen Pflanzenhalms zum Transportieren von Flüssigkeiten oder zum Einlagern von vorgespannten stabförmigen Festigkeitsträgern genutzt werden.

Auch zukünftig wird es eine Fülle von bionischen Entwicklungen geben. Erst in jüngerer Zeit gelang es, Spinnenseide aus Seidenproteinen künstlich herzustellen. Spinnenseide ist hochfest, dehnfähig, leicht und wasserfest. Ein Faserverbundwerkstoff aus Spinnenseidenrovings oder aus natürlichen, besonders leichten Glasfasern nach dem Vorbild des Glasschwamms, die Fasern beschichtet mit einem festen, zähen, wasserabweisenden Haftvermittler nach dem Vorbild des Klebstoffs der Seepocken, kombiniert mit einer Matrix aus Biopolymeren, die einzelnen Bauteile fest und doch leicht austauschbar gefügt mit Haftstrukturen ähnlich den Geckofüßen: Sieht so die Faserverbundtechnik der Zukunft aus?

Weitere Veröffentlichungen zu Bionik

Mikroskop Pflanzenhalm Querschnitt.jpg                                 Pflanzenhalm.jpg

Abb. 1 Querschnitt eines Pflanzenhalms                Abb. 2 Technischer Pflanzenhalm